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Auszug aus dem Interview mit Prof. Dr. Christian Schaedlich

Prof. Dr. Christian Schädlich (geb. 1922) ist ein deutscher Architekturwissenschaftler, der sich als einer der ersten in der DDR in den 1960 iger Jahren mit der Geschichte und des Erbes des Bauhauses wissenschaftlich beschäftigte.

E. Wallisch: Sie sagten mir, dass in den Jahren 1960 -70 Jahre die Arbeit mit der Geschichte des Bauchauses wieder angefangen hat.

- Bevor ich auf diese Frage zu antworte, werde ich ein paar Worte darüber sagen, wann ich begonnen habe, mich mit dem Bauhaus zu beschäftigen.
Ich studierte Architektur und nach dem Abschluss des Institutes im Jahre 1952 wurde ich Assistent des Lehrstuhls der Geschichte des Bauwesens in der damaligen "Hochschule für Architektur und Bauwesen" , die heutige Bauhaus-Universität in Weimar.
Die Forschungen begannen auf dem Lehrstuhl der Geschichte des Bauwesens im Jahre 1955.
Meine Kollegen, die Assistenten, Karl-Heinz Hüter und Günter Steiger und ich, sollten die Kurzfassung der Geschichte unserer Schule, die im Jahre 1860 gegründet wurde, anfertigen. Ich sollte mich mit der Zeit nach dem Krieg ab 1946 bis zur Gegenwart beschäftigen. Somit befasste ich mich mit der Geschichte des Bauhauses zum ersten Mal. Der Kollege Karl-Heinz Hüter hat  Forschungen über die weimarische Periode des Bauhauses angestellt  und im folgenden ein Buch drüber geschrieben. Ich wurde zur Arbeit über die Geschichte des Bauhauses in den Jahren von 1903 bis  1960 Jahre herangezogen. Dann wurde ich Leiter des Lehrstuhls der Geschichte des Bauwesens in unserem Institut. Da Kollege Hüter zur Arbeit in die Bauakademie in Berlin delegiert wurde, konnte ich einen   Kunsthistorikers als Assistenten einstellen und wir sollten die Arbeit über die Geschichte der Schule zu zweit beginnen. Zu dieser Zeit  existierten einige Probleme, da das  Bauhaus, so zu sagen, « eine  schlechte Reputation» hatte. Das begann schon 1945, als unser Territorium zur russisch besetzten Zone unter einer Militärverwaltung gehörte. Der Abteilungsleiter der Kultur in der Verwaltung der Propaganda der sowjetischen Militärverwaltung in Berlin, der «Kulturoffizier», wie in jenen Jahre die Deutschen sagten, Major Alexander Dymschiz, veröffentlichte einen Artikel unter dem Überschrift "Über die formalistische Richtung der modernen Malerei». Dieser Artikel rief eine allgemeine Diskussion hervor, die bekannt wurde unter der Bezeichnung "Der Formalismus und der Realismus". Diese Diskussion erstreckte sich und auf die Architektur. Es begann 1951, als  in Berlin die Deutsche Bauakademie feierlich eröffnet wurde und der damalige Stellvertreter des Ministerpräsidenten Walter Ulbricht einen Vortrag über die Entwicklung der neuen deutschen Architektur hielt. Darin wurde diese Richtung, der sogenannte "Formalismus" als negative Erscheinung abgestempelt. Walter Ulbricht sagte, dass der "Formalismus" bekämpft werden soll. In die nachfolgenden 2 Tagen fand ein Architektenkongress statt, auf dem noch 2 Vorträge gehalten wurden. All dies führte zu einer Regierungsdirektive des  Kampfes gegen den Formalismus und dem Aufruf zur Entwicklung einer neuen Architektur.
Es galt  die nationalen Traditionen in der Architektur aufzugreifen und die neue Baukunst der Gegenwart zu schaffen. Das war ja richtig, aber das Problem lag darin, das das "Moderne" der Zwanziger Jahre des Bauhauses zu dieser Tradition nicht zugeordnet wurde. Als Beispiel führte Ulbricht die Tatsache heran, dass Hannes Mayer zu dieser Zeit nicht über die Baukunst sondern nur über den Bau sprach. Der Präsident der Bauakademie Ostdeutschlands verwendete die Definition "Der Stil des Bauhauses ist Formalismus». Somit war das Bauhaus "nicht gut gelitten" und viele, vorzugsweise die Funktionäre, waren dieser Meinung. Aber wir sorgten uns in Weimar nicht darum und arbeiteten einfach weiter. Diese Phase dauerte bis 1955.  Diese Deutung der Architektur, die ich kurz beschrieben habe, ist von sich aus zu Ende gegangen, als Nikita Chruschtschjow auf der Baukonferenz in Moskau 1954  die historische Überspitzung in den dreißiger Jahren kritisierte und die Aufgabe der Suche nach neuen Formen des Bauwesens stellte. Es begann die Industrialisierung des Bauwesens.
Jedoch bestand von Zeit zu Zeit noch die Abneigung in Bezug auf den Stil des Bauhauses.

E.W: Wann haben die Veränderungen in der Beziehung zum Bauhaus angefangen?

- In den 60 -iger  Jahre wurden in Weimar große Forschungsarbeiten und Veröffentlichungen durchgeführt, aber es war noch nicht der Durchbruch. Später hat der Parteisekretär unseres Institutes Bernd Grünwald einen Brief an die Abteilung der Wissenschaft des Sekretariats des Zentralkomitees der sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED) geschickt. Kernaussage dieses Briefes  war, dass man mit den Gebäuden Bauhauses in Dessau, die während des Krieges teilweise zerstört waren, etwas geschehen muss, um sie internationalen Besucher zeigen zu können. Bevor man konkrete Vorschläge zur  Rekonstruktion machen konnte, musste man den Standpunkt zum  Bauhaus bestimmen, d.h. er sollte positiv sein. Das war auch für die Öffentlichkeit wichtig. Und das bevorstehende 50-jährige Jubiläum des Hauptgebäudes Bauhaus in Dessau, das 1926 gebaut wurde, könnte man festlich begehen.
Vom Ministerium der Hochschulbildung und des Ministeriums des Bauwesens wurde ein  Beschlussvorschlag auf Basis unserer Vorschläge erarbeitet. Dieser kam im April 1976 an das Institut der Architektur und Bauwesen   Er enthielt folgende Festlegungen: Würdigung des Bauhauses, Organisation  eines  Kolloquiums im Institut in Weimar und die Durchführung der Rekonstruktion des Gebäudes in Dessau.
Das Gebäude wurde einschließlich der Glasfassade, die während des Krieges zerstört war, rekonstruiert, die während des Krieges zerstört war. Alles geschah innerhalb von 8 Monaten.
In Dezember 1976 fand die festliche Begehung des Jubiläums und eine Ausstellung statt.  Der Bauminister  Wolfgang Junker hielt die Ansprache, in der das Bauhaus als das bedeutende nationale Erbe geehrt wurde. Es soll weiter erforscht werden. Es war wesentlich, das 25 Mitarbeiter und  ehemaligen Schüler des Bauhauses, die in der DDR wohnen, und 2-3 Schüler aus anderen Ländern zum Jubiläum kamen.
Unser Kolloquium wurde der Auftakt für die nächsten internationalen Kolloquien, die in unter meiner Führung jedes dritte Jahr organisiert wurden.

E.W: Warum sind Sie nach Moskau in den Jahren 1975-76 gefahren?

- Ich hatte ein gutes Fundament, so zu sagen, somit gestattete man mir, für ein halbes Jahr nach Moskau zu Forschungsarbeiten zu fahren. Dort konnte ich die Geschichte der WCHUТЕМАS (Institut für Bauwesen 1920 -1930) und  die Beziehungen des WCHUТЕМАS und des Bauhauses erforschen. Besonders für mich wichtig war es, dass ich die Spuren ehemaliger Bauhäusler, die in die Sowjetunion gefahren waren, gefunden habe. In den Archiven gab es genug Dokumente und in den Fachzeitschriften jener Zeit. Ich konnte mich auch mit den Verwandten treffen und mit ihnen über das Schicksal ehemaliger Bauhäusler reden. Auf jeden Fall  ermöglichte es uns in unserer weiteren Arbeit, besser die Tätigkeit des frühen Bauhauses zu beschreiben.

E.W.: Gab es einen Studentenaustausch zwischen Deutschland und der Sowjetunion ?

- Ich weiß, dass in 1927 die Moskauer Studenten, nicht nur aus dem WCHUТЕМАS, sondern auch von anderen Baufakultäten  technischer Hochschulen, einige Wochen in Deutschland weilten und dabei das Bauhaus in Dessau besuchten. Natürlich gab es viele Treffen und  Gespräche mit den Schülern und den Lehrern und es wurden Bauobjekte besucht. Die sowjetischen Studenten waren von der herzlichen Aufnahme beeindruckt. In Moskau habe ich im Gespräch mit Professor Baburow aus dem МАРCHI  (Moskauer Institut für Architektur) erkannt, dass er unter diesen Studenten war und ich habe ihn gebeten seine Erinnerungen aufzuschreiben. Baburow hat eine ganze Seite über diesen Aufenthalt geschrieben, die bei mir als Kopie bewahrt wird.
Mir war es auch dann bekannt, dass im Frühling die 1928 eine kleine Gruppe (2- 3 Studenten) aus dem Bauhaus im WCHUТЕМАS in Moskau war. Auf dem Titelblatt einer Ausgabe der Zeitschrift "Die Bauindustrie"  wurde dies erwähnt. Die deutschen Studenten haben viele Treffen und  Gespräche durchgeführt. Sie schätzten ein, dass der moderne Stil  in der sowjetischen Architektur schon im großen Umfang zu sehen ist und ähnlich den Ideen des Bauhauses ist.

E.W.: Gelang es Ihnen, etwas aus den Projekten ehemaliger Bauhäusler in den siebziger Jahren zu sehen? Gab es einen Einfluss de Bauhauses auf die sowjetische Architektur?

- Nein, ich sah dies nicht. In Moskau war nichts zu sehen, aber vielleicht irgendwo an anderen Orten. Natürlich, die Studenten des Bauhauses nahmen in den zwanziger Jahren an Ausstellungen in der UdSSR teil. Es nahmen deutschen Architekten und Künstler teil. Sie vertraten den Stil der Moderne des Bauhauses. Diesen Stil konnte man ebenfalls in den 1928-30 Jahren in den Arbeiten der sowjetischen Architekten erkennen.

E.W.: Erzählen Sie bitte ist es noch ein wenig über die Gruppe von Hannes Mayer.

- Mir war  bekannt, dass Mayer nach der Entlassung aus dem Bauhaus in 1931 in Begleitung von 7 Kollegen zu die Sowjetunion gefahren ist. Sie haben zusammen in einem Architekturbüro gearbeitet. Sie waren als «Die Stoßbrigade» oder «Die Rote Brigade» bekannt, da alle sozialistische Einstellungen vertraten. Aber zusammen war die Gruppe nur kurze Zeit, obwohl einige zusammen blieben und länger dort waren. Es waren Konrad Püschel, Philipp Tolziner und Tibor Weiner. Andere beschäftigten sich mit den eigenen Projekten. Püschel, Tolziner und Weiner arbeiteten in Orsk.
Der Schweizer Architekt Hans Schmidt hat das den Generalplan für die "Sozgorod" (Sozialistische Stadt) Orsk entwickelt, und diese drei entwarfen und bauten dort die Wohnhäuser. Mir wurde auch bekannt, dass in den 30iger Jahren einige Architekten Moskau verlassen haben. Im Jahr 1936 ist Hannes Mayer in die Schweiz zurückgekehrt, im Jahr 1937 ist Tibor Weiner nach Frankreich ausgereist, wo ich ihn 1978 besucht habe. Konrad Püschel hat Moskau 1937 auch verlassen. Tolziner, Scheffler und Urban blieben in der Sowjetunion. Sie haben die sowjetische Staatsangehörigkeit angenommen. Sie wurden später verhaftet. Тоlziner war im Lager,  konnte jedoch später als Architekt arbeiten. Nach dem Krieg beschäftigte er sich mit der Rekonstruktion von Zeugnissen alter russischer Architektur.

E.W.: 2019 wird das Bauhaus 100 Jahre. Was können Sie darüber sagen?

- Ich weiß nicht, was genau sein wird. Es gibt viel Projekte. Bei uns gibt es drei Orte, die mit dem Bauhaus verbunden sind: In Weimar, Dessau und Berlin hat man mit dem Neubau zur Erweiterung der bestehenden Museen begonnen.
1983 war ich in Frankfurt am Main zu einem Podiumsgespräch zum Thema «Ist wieder ein Bauhaus nötig?» eingeladen.  Das war die schwierige Frage. Ich sollte etwas sagen, in der Art "Ja" oder "Nein" Meine Antwort war: "Zweifellos ja", wenn es darum geht, die progressiven Grundideen des Bauhauses aufzugreifen und sie produktiv für die Lösung unserer heutigen Probleme anzuwende.
Hiermit möchte ich das Zitat des argentinischen Designers Thomas Maldonado aus seinem Vortrag im Jahre 1960 anführen:
«In den breiten Kreisen der Öffentlichkeit wird der Wunsch gezeigt, allem einen Stempel aufzudrücken: « Bauhaus "oder" Anti-Bauhaus ", das industrielle Design meinend. Aber die Fragestellung ist verzerrt. Die Frage besteht nicht darin, Bauhaus oder Anti-Bauhaus. Sie besteht darin, wie wir die neue Generation der Architekten und der Designer im Sinne des neuen industriellen Designs großziehen sollen, im Sinne der neuen Philosophie der Erziehung und was  uns diesem Ziel annähert».

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